Monographie Künstler Johannes Wickert
Johannes Wickert studierte Freie Malerei an den Hochschulen Stuttgart, Nürnberg und Florenz. Von Beginn an arbeitet er figurativ. Die Zeit der italienischen Renaissance beeindruckt ihn, in der sich die Künste mit Wissenschaft und Philosophie verbanden. Nach dem Universitätsstudium der Physik und Psychologie entstehen Bücher über Newton und Einstein, wird er Universitätsprofessor für Psychologie. Dabei macht das Malen immer einen großen Teil seiner Arbeit aus. Heute widmet er sich hauptsächlich seiner künstlerischen Berufung. Schwerpunkt in Wickerts Werk ist der Mensch: Seine Gedanken sind oft in seinem Kopf zu sehen, seine Individualität zeigt sich besonders in den Füßen – unserer einzigen physischen Verbindung zur Welt. Johannes Wickert lebt und arbeitet in Ostbelgien und Köln/D. In einigen Kirchen Belgiens und Italiens sind Bilder dauerhaft zu sehen. 2010 erschien der Bildband Johannes Wickert – Schilderkunst von Koenraad De Wolf mit Gedichten von Manu Verhulst (Halewijn-Verlag).
Vertikale Analyse – Eine Brücke zwischen Himmel und Erde
In virtuosen Gemälden befasst sich Johannes Wickert mit menschlichem Leid und sucht den Brückenschlag zwischen Himmel und Erde.
Die Figuren seiner Welt können in ihrer Zurückgezogenheit und Entwurzelung keine Gemeinsamkeit mehr erleben. Inmitten desolater Stadt- und Naturlandschaften scheint jegliche Kommunikation unmöglich. Selbst Nachbarn sind einander fremd. Treffsicher zeigt der Künstler den Trümmerhaufen, den der Individualismus in unserer Gesellschaft hinterlassen hat: das Zerreißen der natürlichen zwischenmenschlichen Verflechtungen und der Bande mit dem Übersinnlichen – einem wesentlichen Bestandteil unseres Erbguts. Wenn sich die Figuren des Abendmahl im Freien einander berühren, so doch wortlos und ohne Blickkontakt.
Gnadenlos setzt Wickert vor Angst und Einsamkeit v erkümmernde Menschen in Szene. Er lenkt den Blick unverwandt auf die Schattenseite des menschlichen Daseins: Verzweiflung und Gram. Wir haben es hier nicht mit freilassenden Skizzen, sondern mit schonungslosen, tief schürfenden Analysen zu tun, die zeigen, was den Menschen berührt, verwirrt und verzweifeln lässt. Sie haben Angst und wahren möglichst viel Distanz zueinander, da die Aussprache dessen, was sie im Innersten berührt, sie so verletzlich macht. Neben der tief verwurzelten Furcht vor einem Urteil oder einer Verurteilung droht vor allem die Begegnung mit dem Nichts – der seelischen Leere, der sie keinen Raum lassen können. Ob der zunehmenden Oberflächlichkeit und spirituellen Verarmung, die unser Miteinander bis in die letzte Faser durchwirkt, fressen die Protagonisten all ihr unausgesprochenes Leid für immer in sich hinein. Ein einziges Mal nur wird Schmerz und Ohnmacht hinausgeschrieen Ist das Leben überhaupt lebenswert? Im Schwangerschaftsabbruch und dem Sterben sehen Menschen buchstäblich dem Tod ins Auge.
Doch so groß die Not des Menschen – oder der Menschheit – auch ist, Johannes Wickert vermittelt dem Betrachter dank seinen tief schürfenden psychologischen, durch solide Kompositionen untermauerten Analysen jedes Mal, und sei es nur ein Schimmer davon, wie sehr der Mensch nach zwischenmenschlichem Kontakt verlangt und um den Ausbruch aus dem Schneckenhaus ringt. Doch zu diesem Schritt ist er (noch nicht) imstande. Zu stark hat er sich verfangen. Wenn auch auf den ersten Blick kein Ort vor der Kehrseite des menschlichen Daseins verschont bleibt, ist die Hoffnung, die Liebe, die Freude unter der Oberfläche in den tieferen Schichten der Werke jedes Mal spürbar.
Als eine Medizin bietet der Künstler das gemeinsame Singen an: Auf dem Bild Das Lied blühen die Menschen auf. Ihre Haltung und ihre Körpersprache illustrieren die befreiende Kraft des gemeinsamen Gesangs. Auf den ersten Blick scheinen die althergebrachten gesellschaftlichen Bande wieder hergestellt, allerdings gibt es keinen Körperkontakt zwischen den Sängern. Denn für die wahre Heilung gilt es in tiefere Schichten, zurück zu d en Wurzeln unseres Daseins vorzudringen: authentisches religiöses Erleben. Aus immer wieder unerwarteten Gesichtspunkten lüftet Wickert einen Spalt weit den Schleier über dem inspirierenden Reichtum der biblischen Geschichten. Philippus erklärt dem Kämmerer mit sieben Armen das Evangelium, wobei unklar bleibt, ob der Fremde das versteht.
Durch den Gebrauch abstrakter Formen und Symbole suggeriert Wickert das Göttliche und er taucht sein Werk in ein Meer einer eigenen Mischung von Coelinblau . Doch auch für ihn ist das Göttliche kaum fass bar. Der Weg zum Himmel ist weit und beschwerlich, wie im Traum – einem Synthesewerk seines Gesamtwerks – treffend dargestellt wird.
Der Künstler öffnet die Schatzkammer des spirituellen Lebens und ist bestrebt, tiefer und tiefer zum Kern der christlichen und biblischen Überlieferung vorzudringen. Als gläubiger Mensch stellt er heraus, dass das Sterben auch eine Befreiung beinhaltet und durch das Loslassen eine neue Verbundenheit entstehen kann. Das Leben endet nicht mit dem Tod. Denn, wer alles verlor , dem bleibt die Liebe. Jeder von uns stirbt und wird wiedergeboren, um in Liebe gemeinsam zu leben.
Dieses Werk birgt die Heilung, derer das Zwischenmenschliche so bedarf. Warum? Es hat die seltene Kraft, die Dichotomie zwischen Menschlichem und Göttlichem zu überwinden und eine Brücke zwischen Himmel und Erde zu schlagen. Schmerz und Leid können durchaus ein neues Leben ermöglichen. Himmel und Erde sind keine sich gegenüber liegende Pole, sondern die Fundamente jeglicher Lebensform. Auf einem Bein kann man nicht stehen: Die Erde braucht den Himmel und der Himmel braucht die Erde. Mit zeitgenössischen Bildern in virtuosen Farben schafft der Künstler ein Gespür für die wesentlichen Fragen des Lebens und bleibt dabei doch in der jahrhundertealten Malereitradition verankert.
Horizontale Analyse – Das langsame Vordringen zur Essenz macht eine neue Dimension erlebbar
Mit seinem bedächtigen, der Ölmalerei eigenen Arbeitsprozess macht Johannes Wickert in seinen Bildern eine neue Dimension sichtbar, die das Zeitliche überwindet. Um das Wesentliche von Johannes Wickerts Werk herauszustellen, dringe ich zu seinen Wurzeln vor, um sein Menschenbild zu analysieren. Anschließend thematisiere ich seine Bildsprache, wobei ich mich vor allem auf seine Liebe zum fachlichen Können konzentrieren werde. Ich gehe dann tiefer auf seine religiösen Beweggründe, den symbolischen Farbgebrauch und sein Streben nach Darstellung des Wesentlichen ein.
Malerei
Johannes Wickert wuchs in der Nachkriegszeit auf in einem kunstfernen Elternhaus in Süddeutschland und malte seit seiner Kindheit fast täglich. Niemand wusste, warum. Mit 16 Jahren begann er ein Studium an der Kunsthochschule Stuttgart. Sechs Studienjahre der Freien Malerei, auch in Nürnberg und Florenz, dienten dem Erlernen von handwerklich-technischen Fähigkeiten des Zeichnens und Malens. Dabei bestand eine wesentliche Aufgabe im Studium der menschlichen Anatomie sowie der Geschichte der Malerei.
Jahrelang quälte den Studenten die Ungewissheit über den Sinn der Malerei in der heutigen Zeit. Cézannes Ausspruch, es gebe eine „rein malerische Wahrheit der Dinge“, gab ihm zwar Hoffnung – doch das Begreifen, Verstehen durch Malerei blieb eine offene Frage: Wie verhalten sich Bild und Welt zueinander?
Später überträgt sich diese Frage auf das Verhältnis von Geistigem zu Materiellem, denn besonders die für den Menschen grundlegenden Dinge wollen ihre „malerische Wahrheit“ finden. Spirituelle und religiöse Themen tauchen vermehrt in den Bildern auf – ganz entgegengesetzt zum öffentlichen Kunstbetrieb, der sich von der figurativen Malerei abgewandt hatte.
1985 wurde Johannes Wickert von der Commissione dell'Arte Sacra des Vatikans zum italienischen Kirchenmaler berufen. Es entstanden große Tafelbilder in Kirchen von Caserta (Vater unser) und Macerata (Die Taufe Christi).
Die Malerei begreift er als eine stille, höchst anspruchsvolle Arbeit. Der eigentlichen künstlerischen Gestaltung geht eine intensive geistige Annäherung an die darzustellenden Themen und Charaktere voraus, sein Malprozess ist dabei gekennzeichnet durch stetiges Tätig-Sein auf mehreren Ebenen.
Jährlich finden Einzel- oder Gruppenausstellungen im europäischen Kulturraum statt.
Musik
Eine innige Verbundenheit mit der Musik bestand von Jugend an. Als Erwachsener erlernte er das Harfenspiel. Dieses Instrument kehrt auch in seinen Bildern immer wieder (Der Harfner, Vater unser, Nuklearer Winter u. a.). Das Bild Vater unser wurde von der gleichnamigen Komposition von Leoš Janáč ek inspiriert.
Wissenschaft in Forschung und Lehre
Der junge Maler studierte aus Interesse früh die Schriften Albert Einsteins. Dieser schrieb, Wissenschaft und Künste seien Zweige ein und desselben Baumes. Die Ähnlichkeit dieser ganzheitlichen Auffassung mit dem Menschenbild der Renaissance begeisterte Johannes Wickert. So begann er nach dem Studium der Malerei Theoretische Physik zu studieren. Er promovierte über Albert Einstein und verfasste weitere Bücher über diesen großen Denker (vgl. A. Einstein. Hamburg, letzte Ausgabe 2008). Einsteins Anregungen führten Wickert auch zu Studien über Isaac Newton (publiziert 1998). Während dieser Zeit wurde jedoch die Malerei nie vernachlässigt. Von der Schulung des Denkens profitiert die malende Hand, sagt Wickert.
Ein weiterer Erkenntnisweg führte in die Psychologie. Ehrenamtlich in der Behindertenarbeit engagiert wurde Johannes Wickert schon früh Mitbegründer einer Beschützenden Werkstatt für geistig Behinderte. Diese Arbeit erforderte ein tieferes Verständnis der diversen Behinderungen wie der Menschen. Hiera us entstand ein neues Studium und später sein Brotberuf: Der Maler-Physiker-Psychologe erhielt eine Stelle an der Universität Tübingen mit der Möglichkeit zur Habilitation. Es folgten zahlreiche Forschungsaufgaben im Bereich der psychologischen Gerontologie, der allgemeinen Entwicklungspsychologie, der Devianzforschung, besonders auch der Ausdruckspsychologie des Gehens und Stehens, des Lachens und Weinens. Vor allem aber war und ist ihm das Unterrichten eine reine Freude . Seit zwei Jahrzehnten ist Johannes Wickert Professor für Psychologie an der Universität zu Köln.
Die Gemeinsamkeit all seiner Tätigkeiten sieht Johannes Wickert in der Anstrengung zu verstehen und das Verstandene zu gestalten.
Menschenbild
Wiederholt zeigt Wickert Figuren, die in Gedanken versunken in sich verknotet liegen, wie in Der Gedanke . Auf dem Bild Sehnsucht wird durch die kräftigen, geballten Strukturen und die starke, vertikale Ausrichtung eine beklemmende, melancholische Stimmung erzeugt. Mit unerbittlich eng aufeinandergepressten Lippen leben die verträumten und ins Leere starrenden Figuren aus Johannes Wickerts Welt nebeneinander her, z.B. auf auf Die Freunde. In den komplizierteren Kompositionen aus einem scheinbaren Wirrwarr an Figuren, wie z. B. Vater unser und dem monumentalen Abendmahl im Freien , besteht kein einziger Blickkontakt. Wickert zeigt auch die Figuren am Rande der Gesellschaft : einen Behinderten in einem Rollstuhl (Jans Füße) den verlorenen Sohn und eine Frau, die ihr Kind abtreiben lässt (Schwangerschaftsunterbrechung). Durch ihre Isolation bekommt ihr Leid noch eine zusätzliche dramatische Dimension.
Die Großmutter ist buchstäblich vom Leben gezeichnet. Die Geburt zeigt den Augenblick, an dem nach den Wehen das Kind zur Welt kommt und den ersten Schrei ausstößt. Tragisch ist nicht nur der Tod, sondern ebenso, dass es kein neues Leben ohne Schmerz und Leid gibt. Auf Gethsemane , der Fußwaschung , Judas und Luther st das Gesicht der Personen nicht im Bild. Auf anderen Bildern wird das Gesicht verdeckt, wie auf „Ganz vergessener Völker Müdigkeiten...“ , oder klammern die Figuren sich am Gebet fest . Bei den Freunden zeigt die rechte Figur – als Zeichen von Vertrautheit und Intimität – sich buchstäblich bloß. Als Antipode der zahlreichen Figuren, die ihre Not in sich hineinfressen, schreit ein Mann oder eine Frau ihre Schmerzen hinaus (Ohne Haut).
Jedes Mal steht das Ernste im Vordergrund . Ausnahmsweise nur tritt eine gewisse Verspieltheit mit einem Schuss Surrealismus hervor – so erscheint auf Maler, Modell und Bild vielmal die gleiche Figur , wobei das Modell tatsächlich seine Hand oben auf den Rahmen der Leinwand legt. Und die fröhlichen und vergnügten Figuren sind nie überschwänglich. Sie strahlen vor allem inner en Frieden und Ruhe aus. Auf Christus mit dem Früchtekorb , Hoffmann und Frau Wang und die Füße ihres Mannes erscheint jeweils ein verhaltenes Lächeln .
Bildsprache
Bei Wickerts Werk fällt die Einfachheit und die Klarheit der Komposition auf. Die aufwä ndigen Kompositionen aus den 80iger Jahren weichen im Laufe der Jahre einer bereinigten Bildsprache. Gewöhnlich stehen ein oder zwei Figuren im Vordergrund. Bei vielschichtigen Darstellungen bringen kräftige Hintergrundstrukturen mit einer Haltung oder Geste – als Bögen und Linien – sowie der Farbgebrauch die Kompositionen immer wieder wie selbstverständlich ins Gleichgewicht. Die Bildelemente sind gleichmäßig über das Bild verteilt und oft verleiht ein bogenförmiger Aufbau den Arbeiten eine große innere Kraft. Wird die Hintergrundstruktur bewusst unterbrochen, wie bei Les nouvelles demoiselles d’ Avignon , verstärkt dieses noch die Entfremdung und die Kommunikationsstörung zwischen den Figuren.
Wickert überrascht immer wieder mit unerwarteten Betrachtungsweisen. Unter den zwölf Aposteln finden sich Frauen und Farbige, und wo er den Figuren keine Gedankenbilder in die Köpfe malt , richtet der Künstler all seine Aufmerksamkeit auf die Hände und die Körperhaltung. In anderen Fällen sehen wir nur einen Kopf oder Aktfiguren zu sehen. Golgotha ist aus der Vogelperspektive gesehen, während die Schwebende auf Augenhöhe dargestellt wird. Auf den Gemälden Philippus und der Kämmerer und „Ganz vergessener Völker Müdigkeiten...“ tauschen lange Textfragmente auf und neben Frau Wang werden kalligrafisch chinesische Schriftzeichen dargestellt .
Im Kopf der Großmutter stellen der Bauernhof, die Tiere, der Garten und die Kirche die Stationen ihres Kampfs dar, ihre Kinder nach dem frühen Tod ihres Mannes von zwei Kühen zu ernähren. D er Gedanke bringt die Gehirnwindungen des in Gedanken versunkenen Mannes plastisch ins Bild.
Große Aufmerksamkeit widmet Wickert der Darstellung der Füße. Die Faszination für Füße geht von Maler, Modell und Bild bis zur Darstellung von diversen “Fußmalereien” im Hintergrund. Der Fuß ist mit seinen 26 Knochen, 114 Sehnen und 20 Muskeln nicht nur ein Meisterwerk der Mechanik, sondern spielt als „vergessenes“ Körperteil eine wichtige Rolle, dem zu Unrecht kaum Aufmerksamkeit geschenkt wird. Der Mensch berührt die Erde nur mit den Füßen. So wie beim Fingerabdruck ist auch die Physiognomie des Fußes bei jedem anders. “Das Thema Fuß beschäftigt mich sowohl wissenschaftlich als auch malerisch“, so Wickert. “Wie jemand steht, spiegelt seine Sicht auf die Welt wi der und sein Schritt verrät, womit er sich befasst .” Im Gegensatz zur Haltung des Oberkörpers, die größtenteils von sozialen Normen bestimmt wird, geben die unteren Gliedmaßen in authentischer Weise unser Inneres preis. Die Füße spiegeln den psychischen oder geistigen Zustand des Menschen wieder. Mit dieser Ansicht tritt der Künstler in die Fußstapfen des Philosophen d’Artis aus dem 17. Jahrhundert. Dieser legte 1619 mit seinem auf Latein veröffentlichten Buch Pedis Admiranda den Grundstein für eine “Fußlehre”. D’ Artis bezeichnet die Füße als "den Sitz der Seele" und ist der Überzeugung, Gott blicke nicht von oben herab, sondern aus der Erde auf den Menschen.
Zu Unrecht wurde diesem Aspekt in der Kunstgeschichte kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Nur in den Gemälden Andrea Mantegnas (15. Jahrhundert), Matthias Grünewalds (16. Jahrhundert) und der zeitgenössischen Künstler René Magritte und Georg Baselitz kommen die Füße explizit zum Zuge – wenn die Darstellung auch nicht über das Schematische hinausgeht. Wickert macht Fußgemälde von Kindern und Erwachsenen und schenkt dabei vor allem dem Geschehen unter dem Tisch Aufmerksamkeit. Für das Bild Judas wählte der Künstler für jeden Apostel ein Modell, das auch charakterlich seinen Vorstellungen von den Figuren entsprach. Nicht selten erhalten die Füße eine symbolische Bedeutung. Auf dem Bild Traum weisen die Füße himmelwärts und andernorts betonen sie die Jesusgestalt (Vater unser).
Wiederholt greift Wickert auf religiöse Symbole wie die Mandorla ( den mandelförmigen Rahmen der Heiligen) zurück. Das Bild Johannes auf Patmos ist um das Ei und die Tiersymbole der vier Evangelisten aufgebaut. In Mose und der brennende Dornbusch symbolisiert die Schlange das Böse aus dem irdischen Paradies . Auf verschiedenen Darstellungen des Letzten Abendmahls bezieht sich die Anzahl der Figuren, Becher und Äpfel auf die zwölf Apostel. Philippus erklärt mit sieben Armen – eine weitere heilige Zahl – das Evangelium.
Wickert bedient sich einer Mischung realistischer, symbolischer und bisweilen abstrakter Bildelemente . In seinem Frühwerk signalisieren unbestimmte kreisförmige Strukturen das Göttliche, wie beispielsweise im Vater unser und bei Johannes auf Patmos . Später wird die Natur zu dick umrandeten Farbstreifen oder zu einem vertikalen Streifen, der das Bild teilt (Moses), abstrahiert. Bei seinen neuesten Werken wurde mit abstrakt-geometrischen Balken gearbeitet. Diese symbolisieren das menschliche Streben nach materiellem Besitz und das Formen der Natur nach menschlichen Maßgaben. Der Mensch will die Welt gemäß seinen eigenen Vorstellungen gestalten und nicht nach Gottes Bild, was unumkehrbar zur Entfremdung von Mensch und Natur führt. Der Künstler konfrontiert den Betrachter mit dieser Entfremdung.
An anderer Stelle lösen die Figuren sich in die Umgebung auf oder sie verschmelzen miteinander, wie in Adam und Eva . Auf dem B lauen Stillleben atmen Formen und Umgebung die gleiche Atmosphäre . In Ostern werden hingegen Gestalten nur angedeutet. Auf dem Meer erscheint eine Komposition verschiedenster Formen .
Wickert schreckt nicht davor zurück, jahrhundertealte Geschichten zeitgenössisch umzusetzen. Auf Christus mit dem Früchtekorb ist der Korb im Zeichen der Globalisierung mit Früchten aus aller Herren Länder gefüllt. Die Plastiktüte zu Füßen des Judas auf dem gleichnamigen Bild zeugt vom Einkauf des Apostels in einem Supermarkt. Der Künstler thematisiert auch Brisantes .
Die Natur wird sehr verschieden dargestellt: Naturgetreu z.B. auf Im Park und abstrahiert auf Gethsemane , Lesung und Malen im Freien .
Handwerk
Johannes Wickert ist ein technisch versierter Maler. Er sieht mit Bedauern, wie in der Bildungslandschaft die Kreativ- und Kulturfächer zugunsten von Betriebswirtschaft, Mathematik, Naturwissenschaften und Fremdsprachen verdrängt werden und wie selbst auf den Kunstakademien die Expressivität Vorrang hat vor handwerklicher Schulung . „Die Ku nst will oft nur noch s chockieren . Auf künstlerischem Gebiet sind wir ein Entwicklungsland geworden", schlussfolgert er.
Wickerts ma lerisches Können beruht auf der ständigen Vervollkommnung durch das tägliche Malen mit der Ölfarbe. Dies resultiert in der tadellosen Darstellung der menschlichen Anatomie – vor allem der Hände und der Füße .Durch seine Detailtreue, beispielsweise für eine Fliege auf dem Bein von Füße eines Studenten oder den Salamander auf Abendmahl im Freien wird der Betrachter tiefer in das Werk hineingezogen. Das Bild Ezechiel zeigt eine schier enzyklopädische Übersicht über D utzende Sorten von Pilz en.
Beim Malen seiner Figuren arbeitet der Künstler stets nach lebenden Modellen. Alle Aufmerksamkeit schenkt er der detailgetreuen Studie der Körperhaltung und des Gesichts. Auf der Porträtstudie liegt der Verweis auf die Flämischen Primitiven auf der Hand. Die große inhaltliche Tiefe geht allerdings auf Kosten der Räumlichkeit, Unmittelbarkeit und der Spontaneität. Auf dem Bild Maler, Modell und Bild blickt der Künstler nicht zu seinem Modell. Er malt aus seiner Vorstellung, nicht aus seiner Beobachtung. Seine Vorstellung überlagert seine Wahrnehmung: So ist das Grabtuch auf dem gleichnamigen Bild derart gefühlvoll gezeichnet, dass der Auferstandene dadurch eine schier haptische Präsenz bekommt.
Wickert rührt seine Farbe – so wie im Mittelalter die Gesellen der Meister – selbst an, da er die im Handel erhältlichen Farben für qualitativ minderwertig befindet. Er trägt mit Pinsel und Watte dünne Lagen auf, so dass an den Lichtstellen die weiße Leinwand durchschimmern kann.
Religiöse Beweggründe
“Für mich ist ein Leben ohne jegliche Form von Religion unvorstellbar”, erzählt Wickert. Viele seiner Arbeiten sind stark religiös inspiriert. Sie geben den Bibeltexten ein neues Gesicht und beleben die christliche Lehre so neu. “Der Glaube braucht neben der Theologie und der Verkündung vor allem Bilder", betont er. Er stellt Themen wie das Vater unser und das Letzte Abendmahl auf konventionelle Weise dar. Unter der Oberfläche jedoch sind seine vereinsamten Figuren auf der Suche nach Sinn und Sinngebung.
Symbolischer Farbgebrauch
Der Einsatz der Farben, welche die Stimmung auf Wickerts Bildern bestimmen, ist sowohl stark symbolisch als auch emotionell motiviert. Die meisten Arbeiten sind eingetaucht in die selbst gefertigte blaue Farbe . Dies hebt wie in der deutschen Romantik eine Stimmung des Staunens und des Träumens hervor, was einen Hang zum Melancholischen haben kann. Das Blau verweist auf das Übernatürliche und das Himmlische. “Gott ist blau”, so Wickert. “Soll das Licht eine göttliche Stimmung haben, kann ich nicht anders als blaues Licht zu malen.” Auf Abendmahl im Freien stellt die große blaue Fläche in der Mitte weder einen See noch eine Wasserfläche dar, sondern sie symbolisiert die Unendlichkeit oder den ‚Teppich’ Christi, der für das Göttliche steht. Andernorts steht das Blau auch explizit für das Meer oder das Wasser . Bei minimalem Einsatz der b lauen Farbe, wie auf der, bestimmt dies doch die gesamte Atmosphäre.
Das Orange symbolisiert Glanz und Ruhm. Rot steht für Blut und Feuer und Grün für Natur und Leben. Braun versinnbildlicht die Erde und Schwarz wird mit dem Verborgenen oder dem Übel assoziiert. Das Metaphysische – “es werde Licht”, sprach Gott-Fater – wird mit Weiß oder Gelb wiedergegeben. Auf Cena con Gambe Parlante sitzen die Apostel vor einem goldenen Hintergrund.
Wickert spielt virtuos mit den Farben. So deuten Farbmodulierungen die Vision des Ezechiel an. Manchmal hält der Künstler die Bilder einfarbig oder lässt die Farben harmonisch ineinander fließen. Starke Farbkontraste – in den letzten Jahren stellt Wickert vor allem Blau und Rot gegenüber – spielen mit den verschiedenen Gefühlslagen. Im Gegensatz zu dem meditativeren, kühleren Blau, zu dem der Betrachter erst hindurchdringen muss, was aktives Betrachten erfordert, kommt das Rot uns geradewegs entgegen. Diese Farbwirkung in zwei Richtungen verstärkt, wie in “Ganz vergessener Völker Müdigkeiten...“ und Abendmahl, die aufgebaute Spannkraft.
Die Wiedergabe des Wesentlichen macht eine neue Dimension erlebbar
Als geborener Erzähler gibt Johannes Wickert die biblischen Geschichten auf synthetische Weise wieder. Dabei ist der Künstler stets bestrebt, zum Wesentlichen der dargestellten Inhalte vorzudringen. Dies gilt auch für seine Reflexion des Wesens der Kunst in Les demoiselles d’Avignon, D as Atelier und Maler, Modell und Bild. Auf Abendmahl (S. 146) prangert der Künstler die Kirchenflucht an und nimmt bei seiner Gesellschaftskritik kein Blatt vor den Mund. Auf dem Bild Baden im Venn wird die Umweltverschmutzung verurteilt. Auch nukleare Gefahren drohen am Horizont.
Bei seinen Porträtstudien sucht Wickert die Seele hinter dem Gesicht. Als Psychologe legt er die tiefsten Regungen der Seele des Menschen frei. Auf dem Gesicht sind die Spuren des Lebens deutlich sichtbar, wobei feine Farbmodulationen den Tiefgang verstärken. Da Menschen als Gesichter in Erinnerung bleiben, malt der Künstler die Gesichter aus der Erinnerung. Der Malvorgang ist ein harmonisches Zusammenspiel zwischen Geist und Händen. Jedem Porträt gehen zahlreiche Vorstudien voraus. Trotzdem fordert der Malvorgang selbst immer noch viel Kreativität und Energie.
Im Sinne des Schweizer Psychologen Ludwig Klages (1872-1956) ist Wickert davon überzeugt, dass eine Landschaft nur malen kann, wer sie durch und durch kennt – und einen Menschen nur, wer ihn in seinem Tiefsten ergründet hat. Erst wenn eine Beziehung oder eine Wechselwirkung entsteht, kann auf der Leinwand eine neue Wirklichkeit Gestalt annehmen. Die Malerei ist für Wickert deshalb auch ein einzigartiges Medium, um eine Beziehung zu der Wirklichkeit um sich herum aufzubauen.
Immanuel Kant (1724-1804), der bekannte Königsberger Philosoph aus der Zeit der Aufklärung, sprach: „ Kunst muss aussehen wie Natur .“ Und der Deutsch-Schweizer Kunstmaler Paul Klee (1879-1940) behauptete das Gegenteil, nämlich die Kunst bringe eine reichere Wirklichkeit als die Natur hervor . Johannes Wickert tritt in Johann Gottlieb Fichtes (1762-1814) Fußspuren und schlägt in dieser Diskussion einen Mittelweg ein. Er geht davon aus, dass in der Malerei der Geist die Natur durchdringen muss, um eine neue Wirklichkeit entstehen zu lassen. Kunst macht etwas Neues sichtbar, indem der Geist aus der Natur etwas Neues erschafft. Wer lebendige Sonnenblumen sehen will, muss sie nicht draußen auf dem Feld betrachten, sondern auf den Werken des niederländischen Malers Vincent v an Gogh (1853-1890). Denn der Geist des Künstlers muss durch die Sonnenblume hindurch geg angen sein, um diese zu verstehen.
"Als Maler gebe ich einer neuen Wirklichkeit Gestalt”, legt Wickert dar. "Ich schöpfe etwas Neues, das seinerseits lebendig wird. Jedes Bild ist eine Neugeburt." Das italienische Renaissa ncegenie Leonardo da Vinci (1452-1519) postulierte seinerzeit: „Der Maler verdoppelt die Welt“. Ein gutes Bild bereichert die Welt. “Ich will mit meinen Arbeiten zu einer besseren Welt beitragen“, sagt Wickert.
Der Künstler bekennt sich offen zur These Friedrich von Schillers (1759-1805), nach der die Schönheit eine Tür zur Wahrheit ist. Er sieht seine Berufung darin, nach Schönheit zu suchen.
Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft
Die Chronologie ist in Johannes Wickerts Werk unwichtig. Kein einziges Werk ist datiert. “Kunst ist doch zeitlos", erklärt er. “Kunst entwickelt sich auch nicht im Laufe der Zeit.” Schon Friedrich Nietzsche (1844-1900) wusste: “Nur was keine Geschichte hat, kann definiert und bestimmt werden." Jedes Bild hält einen Ausschnitt eines Prozesses fest, vergleichbar mit einem Dia . “Ich mache als Künstler Dias – keinen Film", verdeutlicht Wickert. “Ich halte in meinen Werken einen Moment oder einen Augenblick fest, aber keine Bewegung. Es besteht übrigens keine andere Kunstform als die darstellende Kunst, die einen einzelnen Moment konserviert.“
Der griechische Philosoph Plotin (204-270) setzt bei der These an, es gebe keine Zeit. Es gebe allein die Gegenwart und der Kosmos entstehe f ortwährend neu. " Ein künstlerisch hervorragendes Bildnis einer alten Frau zum Beispiel beinhaltet sowohl die Vergangenheit, als auch die Gegenwart in sich”, legt der Künstler dar. Die s umfasst neben der chronologischen oder der horizontalen Zeitachse auch eine vertikale Zeitachse, welche die inhaltliche Tiefe eines Augenblicks dank der in ihm enthaltenen Geschichte beschreibt. So zeigt jedes Bild einen Ausschnitt Augenblicksgeschichte.
“Jedes Bild trägt nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Zukunft in sich,” ergänzt Wickert. "Kunst hat einen universellen Charakter und übersteigt Zeit und Raum. Gute Kunst trägt die Unendlichkeit in sich. Ich strebe danach, dies wiederzugeben. Eine Zeichnung oder ein Bild verdichtet auf einem Bogen Papier oder auf einer Leinwand nicht nur gegenwärtige, sondern auch vergangene und zukünftige Prozesse. Das war in der Kunstgeschichte nie anders.“
Signatur
Für Johannes Wickert kommt es allein auf das Werk an, nicht auf den, der es gemalt hat. Daher signiert er seit Abschluss seines Studiums seine Bilder nicht mit seinem Namen, sondern mit einem Fisch-Symbol. Er will das Kennzeichen der ‚unbekannten Meister’ hinterlassen, denn in früheren Jahrhunderten wurde keine einzige Malerei signiert. Der Fisch oder der Ichtus – das griechische Wort für Fisch ????? (ichthýs) enthält ein kurz gefasstes Glaubensbekenntnis [??s??? ???st?? Te?? ???? S?t??[a?] – war das Symbol der ersten damals noch verfolgten Christen.
Langsamer Prozess
Das Malen ist für Johannes Wickert ein langsamer Prozess. So ist das Bild Das Lied aus der Erfahrung des Künstlers, dass singende Menschen in einen besseren Zustand ihrer selbst geraten, heraus entstanden. Wer singt, nimmt eine andere Haltung an, hat andere Gesichtszüge und stellt seine Füße anders. Das Singen beinhaltet eine spirituelle, ästhetische – es ist eine Hymne an die Schönheit – und eine soziale Dimension in sich. Der Künstler suchte nach Figuren, die diesen Gedanken sichtbar machen konnten. Er male einmalige Wesen, von denen jedes einen eigenen Namen, der auf der Leinwand steht, und eine eigene Identität habe: erst die Köpfe, dann die Hände und schließlich ihre Kleider. Der Faltenwurf verleiht, so wie bei den Flämischen Primitiven, den Gefühlen Ausdruck. Nach der Festlegung des Bildaufbaus wird alles mit Ölfarben ausgemalt. Diese werden sorgsam abgewogen. Nicht nur die einzelnen Sänger, sondern auch der Chor im Ganzen soll Ruhe und Harmonie ausstrahlen. Die Idee, die der Künstler verbildlichen wollte – nicht nur den singenden Menschen, sondern auch die singende Natur –, gab er durch Gänse und krähende Hähne am unteren Bildrand wieder.
Die Schaffung des Bildes Das Lied nahm viele Monate in Anspruch. Während des Malens wurden ständig Teile übermalt, Verbesserungen angebracht und neue Skizzen gemacht. Der Gebrauch der Ölfarbe, die trocken sein muss, ehe die nächste Schicht aufgebracht werden kann, verlängert den Malprozess. So wendet sich der Künstler zwischendurch kleineren Werken zu.
Vorwort von das Büch durch Kardinal Godfried Danneels, Erzbischof von Mechelen-Brüssel
Die moderne Kunstwelt steht seit den 70iger Jahren im Bann der Konzeptkunst. Was mir dabei auffällt ist, dass die Emotionalität darin nur spärlich zutage tritt. Ich frage mich, warum die Emotionen – die doch ein so wesentlicher Bestandteil unseres Menschseins sind – derart vernachlässigt werden.
Daneben ist die gegenwärtige Kunst Ausdruck unserer individualisierten Kultur. Künstler formulieren ihre ureigenen Gefühle und ihre persönlichen Gedanken und Ideen. Ihr Werk ist der hochindividuelle Ausdruck hochindividueller Emotionen. An sich ist das natürlich legitim, hat aber zur Folge, dass der Kontakt mit der Allgemeinheit und mit dem Gemeinschaftsgeschehen verloren geht. Die Kehrseite der Medaille ist dann, dass die Beziehung zwischen Künstler und Gesellschaft verarmt. Die Kluft zwischen beiden scheint im Lauf der Jahre nur größer geworden zu sein.
Man könnte diesen Befund auch auf die Situation der Kirche übertragen. Denn auch hier ist der Individualismus eingezogen. Ein Christ ist jedoch seinem Wesen nach Teil einer Gemeinschaft und ein Teil von Christi Leib. Die Mitglieder der Kirchengemeinden sollten nicht wie lose Sandkörner nebeneinander her leben.
Um was muss es in der zeitgenössischen religiösen Kunst dann gehen? Wenn das Christentum eine Doktrin wäre, wäre ein konzeptueller Ansatz angebracht. Doch dem ist nicht so: Das Evangelium und das Leben Christi sind eine Aneinanderreihung von Geschichten. Das ist Poesie und Epik pur. Werden die Geschichten auf Konzepte reduziert, verlieren sie ihre Kraft. Wie ein erloschener Ofen, der keine Wärme mehr spendet. Wahre religiöse Kunst muss das Narrative in sich tragen, ohne die Erzählungen wörtlich darzustellen. Wir brauchen keine fotografische Darstellung der Christusfigur, wohl aber eine bildliche Erzählung, die anspricht und bewegt.
Uns sind leider heute nur wenige explizit religiöse Künstler der Spitzenklasse geschenkt. Der Franzose Arcabas hat beispielsweise ein gutes Gespür sowohl für das Narrative als auch für das, was in der Kirche lebt. Diese Eigenschaft finde ich auch bei Michel Ciry, dessen Werk stark affektiv ist. Vor ein paar Jahren ließ ich auf dem Einband einer meiner Broschuren ein Gemälde des Antwerpeners Jan Vanriet, abdrucken, auf dem nur drei Nägel zu sehen waren. Ich erlebe das nicht als ein Konzept-, sondern als ein Narrativkunstwerk. Dies ist die eindrücklichste Darstellung des Kreuzes, die mir bisher zu Augen gekommen ist: weitaus bescheidener, aber mindestens ebenso kraftvoll wie die Kreuzigung von Pieter Paul Rubens.
Im Rahmen der Veranstaltung "Brüssel Allerheiligen 2006” begegnete ich erstmals den Arbeiten des deutschen Künstlers Johannes Wickert, dessen Atelier sich in Belgien befindet. Seine monumentalen Bilder hingen in der schlichten Kirche Onze-Lieve-Vrouw van Goede Bijstand im Herzen Brüssels. Ich hatte auch die Gelegenheit, den sympathischen Menschen kennen zu lernen.
Vier Dinge haben mich dabei besonders beeindruckt:
Erstens sein künstlerisch-malerischer Geist. Wickert beherrscht das malerische Handwerk wie kein zweiter. Seine Werke sind dadurch rein visuell schon eine Augenweide.
Zum zweiten die psychologische Tiefe seines Werks. Der Künstler, der seit vielen Jahren als Psychologieprofessor an der Universität zu Köln tätig ist, analysiert seine Figuren bis zum Grund. Durch diese psychologisch durchdachte Darstellung brennen sich seine Werke auch derart in die Netzhaut ein.
Zudem schneidet Wickert wie mit einem Seziermesser in die Haut unserer Gesellschaft. Erbarmungslos konfrontiert er den Betrachter mit dem Leiden in dieser Welt: dem physischen, aber vor allem dem allgegenwärtigen mentalen Leid. Es sind Menschen zu sehen, die buchstäblich verkümmern und an Einsamkeit und Elend drohen zugrunde zu gehen.
Letztlich aber – sosehr die Menschen auch in ihrer Not gefangen sind – zeigt der Künstler jedes Mal einen Ausweg, und wenn auch nur ansatzweise. Der Verweis auf eine höhere Dimension, auf das Überweltliche (sagen wir: das Transzendente oder das Göttliche) wohnt jedem seiner Werke inne. In der christlichen Überlieferung stellen Leid und Verzweiflung nur die vorletzte Stufe dar. Das Ziel ist ein anderes: die Hoffnung oder die Aussicht auf ein Leben nach dem Tode. Das ist zentral für das Christentum. Und es scheint mir auch wesentlich für das Œuvre Johannes Wickerts.
Aus diesen vier Gründen kann, oder besser muss der Name Johannes Wickerts der kleinen Liste rein episch-narrativer Künstler hinzugefügt werden, denen es gelingt, die jahrhundertealte Botschaft der Bibel für unsere Gegenwart umzusetzen.
Deshalb freuen wir uns sehr über dieses Buch und erst recht über die in ihm abgedruckten Kunstwerke, die vielerorts in Flandern und Deutschland auf Ausstellungen zu sehen sind.
Das Werk Wickerts zeigt, dass Kunst ganz und gar eine Tochter der Religion bleibt und ihren Ursprung nicht verleugnen kann. Wie die Prinzessin aus Psalm 45 kann sie ihr Herkunftsland nie vergessen – wie weit entfernt es auch sein mag.
+ Kardinal Godfried Danneels
Erzbischof von Mechelen-Brüssel